If I had a hammer

São João – ein Volksfest in Porto am 23. Juni 2002

oder „If I had a hammer“

 

Die portugiesische Hafenstadt hat wohl nicht nur aus grammatischen Gründen normalerweise ein „O“ vor ihrem Namen (Oporto). „Oh, Porto!“ geriet gleichsam zu meinem persönlichen Slogan an diesem Abend des 23. Juni 2002. Man feiert das Fest des Heiligen Johannes:

 

Die Stadt befindet sich im Ausnahmezustand. Für einen Tag, oder besser, eine Nacht sind die strengen Hierarchien und der andernorts fortbestehende und mittelalterlich anmutende Ständedünkel außer Kraft gesetzt.

 

Alte (offene) Rechnungen sind auf denkbar einfache Weise zu begleichen: Sollte man also über Glück oder etwas „detektivische“ Fähigkeiten verfügen und an diesem Abend auf seinen Todfeind, verhassten Chef oder Nebenbuhler stoßen, so schlägt man ihm einfach mit dem Hammer auf den Kopf.

 

Die Regierung Portugals muss eigens für dieses Fest ein bilaterales Abkommen mit China geschlossen haben. Denn wie sich beide Staaten zwischen Tradition und Postmoderne bewegen, nimmt es nicht Wunder, dass Portugal weinenden Herzens auf sein letztes Relikt aus Kolonialzeiten, oder wie man sie in Portugal lieber bezeichnet, aus den Zeiten der „großen Entdeckungen“, verzichtet und weit im fernen Osten die Produktion von Plastikhämmerchen mit Hup- und Trillerfunktion Hochkonjunktur hat.

 

Portugal gibt in Asien Macau auf und erhält im Gegenzug den Garant zur Deckung des Gesamtbedarfs an Hämmern und, damit es sich auch lohnt, auch noch an jeder Menge Plastikspielzeug mit jener astronomischen Halbwertszeit, oder wie hieß das doch, Haltbarkeit von 300 Sekunden. Lange habe ich überlegt, wie diese „lojas dos 300“ (300 Escudo-Läden) zu ihrem Namen gekommen waren … Sollte es den Eltern, die es schaffen, z.B. die dort gekauften Plastikautos noch vor Ablauf des 5-Minuten-Taktes (300 Sekunden) an ihre Sprösslinge zu übergeben, dann wird doch spätestens an der übernächsten Kreuzung, wenn die aufwendige Verpackung endlich auf dem Gehsteig liegt, das erste Rad, der Seitenspiegel oder gar die Windschutzscheibe fehlen. Beschwerden sind nicht zu empfehlen. Der Familienrat plädiert fürs Weitergehen, schließlich habe man ja umgerechnet nur 1,50 € ausgegeben und da es an eingangs beschriebenen Läden nicht mangelt, kann das immer so lästige Kleingeld dann beliebig oft in neue Plastikwunderartikel umgesetzt werden, oder an diesem besonderen Abend in immer neuere und größere Hämmer.

 

Lange hatte es nicht gedauert, von Schlägen auf den Hinterkopf in Trance versetzt oder nur abgestumpft (???), dann legte ich 300 Escudos in einen mittelgroßen Hup-Pfeif-Hammer an. Die Verlockung ist dann doch zu groß, einmal das tun zu können, was sonst juristisch als versuchter Totschlag geradewegs ins Gefängnis führt. An meiner Seite die Konsulin der Bundesrepublik Deutschland Frau Neumann (Name geändert) – auch Sie hatte sich mit der mittelalterlichen Version des Hammers ausgestattet. Früher als China noch weit weg war, benutzte man eine bestimmte Sorte Knoblauch mit kleinem Knob und großem Lauch. Zuerst hatte ich Angst, dass nun zu den Blessuren auch noch knoblauchstinkende Haare hinzukämen. Doch ein Wegrennen – Fehlanzeige! So rollten wir durch die Massen, gegen den Strom, denn irgendetwas musste dort los sein, wo wir herkamen. Doch zweimal denselben Weg zu gehen, an dem Tag, an dem der heilige Johannes nach Porto eingeladen hatte, wäre dann doch zu stromlinienförmig gewesen. Also weiter gegen den Strom, schwer bewaffnet und inkognito (hofften wir zumindest) Richtung Rathaus, wo irgendwann ein Feuerwerk losgehen sollte. Ich hatte ja sozusagen Staatsschutz und genoss eine außerparlarmentarische Immunität.

 

Dann kam er – mein Moment – Frau Konsul schon auf der Kreuzung, vorbei am Polizist, der wild gestikulierend, ebenso wild Ordnung einfordernd, versuchte den Verkehr zu regeln. Er hatte keine Chance, aber ich! Hammer gezückt, angeschlichen, ganz geschmeidig wie ein Indianer, Machete gezückt, nein, was sag ich – den Megahammer – und rauf auf den Kopf der Staatsmacht, katabumm und plautz, juhu! Zuerst glaubte ich, dass das Trillern mir galt. „O senhor Polícia lamento muito!” Tut mir schrecklich Leid, nicht weh, ihm aber auch nicht, deshalb ein Lächeln, kein Schuss aus der Dienstwaffe. Dafür liebe ich Portugal!

 

Von wegen unerkannt, die Reise ging weiter hinunter zum Fluss, wo der Rotwein fließt, es darf auch PORTwein sein und ein schnödes Superbock (gutes Bier) nach diesem Hauen und Stechen. Wir sitzen am Ufer, den Blick in die Ferne, plötzlich ein Raunen und Deutsch mitten im Wirrwarr des Portugiesischen – der Meister seiner Bürger, der Bürgermeister Rui Rui, der die deutsche Schule besucht hatte und die Konsulin erkannt haben musste.

 

Ich sprang in den Fluss und Schluss.