Von Koffern und Flügen

Leipzig – London

 

Wäre ich als Koffer an Bord gegangen, gestapelt, gequetscht, gerumpelt, geworfen… Jetzt in der „2. Klasse“: Knie an den Wangen, Füße eingefahren, Stöpsel im Ohr.

Aufregung in der Mitte.

Kiddies rotwangig – aufgewühlt – ihre Blicke auf meinem Nachbarn.

Ob ich wisse, wie spät es sei, small talk, noch immer kein Aha!

Kiddies beinahe pink, meine Stöpsel aufgegeben. Ob er mal vorbei könne, ob ich etwas gegen einen Platzwechsel habe. Freiheit über den Wolken.

Klar, warum denn auch.

Saß gestern noch in Kingston, Füße in der Luft. London lässt langsam los. „Leipzig kommt“ hieß es damals. Jetzt aber erst einmal den Nachbarn freigeben.

Aufregung steigert sich im Mittelgang.

Kiddies schon fast grün.

Freundliches Nicken, ernte einen neidvollen Blick, na? – von den Kiddies – gelb jetzt vor Neid. Stöpsel wieder rein, Mittelgang in Aufruhr, schmachtender Auswurf von Galle.

Fliegen kann auch schön sein, Kiddies im Terminal vergessend.

Doch ach, nicht heute, jetzt. Nick Drake[1] will nicht in den Rahmen passen, zu luftig, zu sanft die seidenen Töne gegen die Turbinen und das Kreischen der Fangemeinde.

Ob die wussten, in welchem Flieger sie sitzen werden?

Ich wusste es schon nicht mehr so genau. Wenn ich nun im falschen Flieger säße – die Füße auf dem freien Nachbarsplatz, Blicke voller Hohn?

Dann tritt sie aus den Träumen, eine Flasche Rotwein im Arm. Wir schlummern im Clara-Park, Reise im Rücken, sprechen über Vergänglichkeit, Füße in der Luft.

Dürfte die nächsten drei Jahre die Hände nicht mehr waschen, denn er hat mir die Hand gereicht. Nur, dass mir das nicht bewusst war, hätte meine Hand wohl versteigern können, ein Leben ohne „die“ Hand, die ihn berührt hat – sorgenfrei, während Leipzig in Sicht kam, der Weisheitszahn[2], die Stadt, ihre Arme ausgestreckt, ihre Seele auch.

Flughafenterminal in LE: voller Kiddies, jetzt reicht es mir, Ausweis, check-out, bunt das Treiben immer noch, frage einen Groupy, wer „die“ denn seien. Wenn Blicke töten könnten, ich wäre jetzt tot im rumpelnden, gestapelten, gequetscht und geworfenen Koffer auf dem Rollband

– eine Boygroup –

Backstreet Boys[3] – und ich kannte sie nicht!

[1] Nick Drake (1948-1974) – engl. Musiker, der sehr melancholische aber berührende Texte schrieb und sang

[2] Das ehemalige Universitätshochhaus, eine Art Wahrzeichen der Stadt, 142,5 m hoch

[3] US-amerikanische Boygroup, gegr. 1993