Telekom

Wie einer auszog, der Deutschen Telekom zu entkommen

Immer wenn es regnet,

muss ich an sie denken

A N N A

Im September wird der Regenschirm in Deutschland zum ständigen Begleiter, die Farben des Herbstes versöhnen uns mit dem Nass. Wir tragen noch genug in uns. Erst im November scheinen die letzten wärmenden Strahlen unsere Gemüter zu verlassen. Wenn jetzt kein Weiß uns entschädigt, wird es grau bis zum ersten Schnee.

Ich habe es verlassen – das herbstliche Deutschland, habe die Farben des Herbstes über die Pyrenäen gezogen, mich durch die Weite und Verlassenheit der spanischen Steppe geschleppt, um auf einer der wildesten Straßen Europas – der IP 4 – in Transmontanien anzukommen.

Das alles habe ich getan, um meinen Sohn von nun an João Frederico Constantino nennen zu können oder nein, um ehrlich zu sein: Ich habe es getan, um der Deutschen Telekom zu entkommen. Telefonlos und „kein Anschluss unter dieser Nummer“… Wie schön würde das jetzt klingen: „este numero não está distribuido“. So kommen wir an in Trás-os-Montes, Hinter-den-Bergen, rollen ein in eine andere Welt voller Überraschungen.

Wir sind bereit für eine Fülle von Eindrücken, die ich nur mit großem zeitlichen Abstand zu verarbeiten in der Lage bin. Langsamer als die Wellen der drahtlosen Kommunikation, der bewegten und unbewegten Bilder, die von Handyhalter zu Handyhalter schweben, sickern sie durch – meine Bilder –  lange gefesselt im Unterbewusstsein. Ich begriff somit auch erst später, warum ich fortgezogen war.

Hier angekommen, ticken sie anders, ticken sie langsamer die Uhren – ihr Tönen hat einen Hauch von Sehnsucht, Melancholie – saudade. Dieses Schwingen hallt nach, es muss dem Suchen, Finden, Fliehen und immer neu Ankommen einen Sinn gegeben haben.

Trás-os-Montes, Hinter-den-Bergen – es fehlten selbst die 7 Zwerge nicht. Denn so nannte ich eine kleine Seminargruppe meiner Studenten des Studiengangs „Angewandte Sprachen“ an der örtlichen Universität. Diese 7 Zwerge hatten mich später erfolgreich überredet, ihnen einen Teil meines Heimatlandes zu zeigen. Doch das wäre eine neue Geschichte, die vor allem eines zeigen würde: Kulturunterschiede sind selten sprachlich zu fassen und gründen folglich auch weniger auf sprachlichen Barrieren. Für einen Portugiesen beginnen und enden sie in der Küche und der Unmöglichkeit, die deutsche und portugiesische zu versöhnen. Wir hatten es da einfacher, gewöhnten uns gern an die kartoffelschweinefleischfreiere knoblauchisierte olivenölschwangere Kost der Transmontaner. Dass der gute und meist trockene Rotwein kein unüberwindbares Hindernis darstellt, wird Ihnen gewiss einleuchten.

Hinter-den-Bergen, bei meinen sieben Zwergen, fehlte auch das Schneewittchen nicht, das gerade unseren Jüngsten (Diogo) auf die Welt gebracht hatte. Zu viert erwarteten wir das Abenteuer Portugal. Fernab der Postkartenansichten der sonnigen Strände im Süden (Algarve) trabten hier im Norden noch Ochsen durch die Berge Transmontaniens, übermittelten die schwarzen Witwen ihre Botschaften noch über Schäfer oder Ochsenhirten, rollten die Ochsenkarren mit Torf beladen von Tal zu Tal.

Und während der Wirt meines Lieblingscafés noch die Drehscheibe seines schwarzen Telefons drehte, übertrafen sich meine sieben Zwerge in der Zurschaustellung oder Zumohrhaltung der neuesten Modelle von „So-nie“ und „Knock-mia“-out oder wie sie alle hießen von „Singsang“ bis „No-to-Ola“ oder so. Man redet über die neuesten technischen Wunderwerke der Telekommunikation. Man kann ja auch nicht immer über das Wetter reden und als ich nun das Auslaufmodell meines Bruders mit einer portugiesischen SIM-Karte versah und nun auch erreichbar war, fielen meine 7 Zwerge fast in Ohnmacht. Sie fragten nicht: „Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ oder „Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?“ Nein, sie konnten sich kaum halten vor Lachen: „Wer hat mir denn mein erstes Handy aus der Zuckertüte geklaut?“ Sie konnten noch nicht lesen und schreiben, aber sie mussten dieses Modell schon mit 6 Jahren besessen haben. Ich konnte also nicht mithalten und sprach dann doch lieber übers Wetter, denn mein Handy konnte keine Fotos und Filme machen, konnte nicht ins Internet oder coole Klingeltöne und Musik per Bluetooth von Zwerg zu Zwerg senden. Chatice – so ein Mist!

Ob dies der Grund war, einen Festnetzanschluss zu beantragen oder ob ich von Zuhause aus bald auch E-Mails lesen und verschicken wollte, ich kann mich nicht genau erinnern. Mein schickes Handy ließ ich dann doch lieber (meist ausgeschaltet) in meinem Rucksack, denn ich war ja irgendwie für das Wohl meiner 7 Zwerge verantwortlich und dass sie sich totlachten, wäre ja dann doch zu traurig. Es war schon wenig standesgemäß, mit dem Rad durch das 40.000 Seelen-Örtchen zur Arbeit zu radeln. Es war auch lebensgefährlich und so ließ ich es schon nach kurzer Zeit lieber sein. Hier war nicht das Leben meiner 7 Zwerge gefährdet (Tod durch Totlachen), sondern mein eigenes. Ja und es gehörte sich eben nicht als „Senhor professor“ – schade eigentlich …

Zuerst hieß es „Nummer ziehen“, selbst auf dem Postamt, was ich natürlich nicht wusste, brav in der Schlange schlummerte und dann nach meinem Zettelchen mit der Nummer 13 gefragt wurde. Hatte ich nicht und durfte beinahe noch einmal 45 Minuten warten. Kam dann aber dank des Ausländerbonus doch noch drum herum.

Der Antrag war ungefähr 10 km lang, jeder einzelne Punkt wurde auf zwei Folgeseiten im feinsten Amtsportugiesisch erläutert und obwohl ich in der alten DDR nie einen Antrag auf Telefon gestellt hatte, erschien mir diese Papierflut zumindest verdächtig vergleichbar verrückt. Andere Ähnlichkeiten sind für Folgegeschichten reserviert. Zweifel kamen auf: Brauchte ich wirklich einen Festnetzanschluss? Doch Funkverbindungen nach Deutschland ließen mich zum Dauerkunden im Pre-paid-Shop werden und so begann ich in meinem Lieblingscafé die Antragsseiten zu bearbeiten.

  • Derzeitige Stellung: Urzeithandyfahrraddozent hinter den Bergen
  • Derzeitiges Einkommen: Also doch die Stasi?
  • Die Anschriften der letzten 10 Jahre: Viel Spaß beim Überprüfen – Weimar unter der Ilmbrücke,
  • Eisenach – am Fließband der Wartburgwerke,
  • Leipzig – wieder unter verschiedenen Brücken der Pleiße und im Schatten des Weisheitszahnes…

Es machte richtig Spaß, Orte, Namen und Geschichten zu erfinden, sich selbst neu zu definieren. Doch später fragte ich mich, ob ich nicht doch hätte die Wahrheit schreiben sollen.

Die Uhren ticken langsamer, sagte ich ja, während paradoxerweise meine 7 Zwerge schon wieder zwei neue Modelle von Knock-me-a out verbraucht hatten, hielt mich allein die lange Schlange in der Post davon ab, mal nach meinem Antrag zu fragen. Irgendwann kam er zurück, in Deutschland fiel bereits der erste Schnee: Die Angaben zu den mit im Haushalt lebenden Personen waren unvollständig. Gut, dass nicht die Adressen der letzten 20 Jahre meines Schneewittchens ergänzt werden mussten. Wie viele portugiesische Gastarbeiter in Deutschland sollten die alle überprüfen? Ich übte mich in Gelassenheit.

Irgendwann im Januar bemühte ich dann doch mal mein Mobiltelefon und es dauerte dann nur noch 3 Wochen, bis wir ein Schreiben mit der uns zugewiesenen Festnetznummer bekamen. Hurra! Ein voraussichtlicher Schaltungstermin, eine wahrscheinliche Kalenderwoche für das Erscheinen eines Servicetechnikers der portugiesischen Telekom (PT) und wieder ein Formular zur Bestätigung der noch unbestätigten Absichtserklärung des Monopolisten aller Festnetzanschlüsse Lusitaniens.

Es war bald Mitte Februar und was im winterlichen Deutschland als Schnee herniederfällt, bringt uns an den Ausgang der Geschichte zurück: Immer wenn es regnet, muss ich an sie denken A N N A oder lieber PT PT ohweh ohweh! Und wie es regnete. Die besagte Kalenderwoche war verstrichen, mein Handy blieb selbst in Seminaren und Vorlesungen angeschaltet und eines Morgens gegen 8 Uhr wurde das freudige Ereignis telefonisch vorangekündigt. Der Techniker sei gleich da, man ließ sich die Adresse nochmals bestätigen (nein, nicht die von vor 10 Jahren), man ließ sich die Anfahrt erklären. Ich war ganz aufgeregt, es war mein Eintritt ins Medienzeitalter – wie eine technische Revolution.

10:00 Uhr – auf diese Weise wischt man selbst dort Staub, wo sonst keiner hinkommt (oder hinkommen will).

11:30 Uhr – das zweite Frühstück und die 5. Tasse Kaffee. Es ist inzwischen 13:00 Uhr und ich müsste auf Arbeit. Zur Vergewisserung wähle ich die Servicenummer, lande in einer Warteschleife, die meinen 7 Zwergen beinahe die Aussicht auf einen Seminarausfall beschert und mich doch langsam ungeduldig werden lässt. Mein Arbeitszimmer war noch nie so aufgeräumt und ich innerlich selten so unaufgeräumt. Endlich eine Mitarbeiterin, die sich wie alle Portugiesen mit „Ich bin es“ meldet. Es setzt jetzt ein heiteres Rate- und Wettspiel ein, bei dem der gewonnen hat, der zuletzt seine Identität preisgibt. Ich verliere aus Angst, wieder in die Warteschleife geschickt zu werden. Warum denn der Techniker noch nicht da sei? Ein kurzes Schweigen auf der anderen Seite. Aber Senhor X, es regnet doch! Ja und?

So wird das heute wohl nichts mehr und morgen auch nicht, denn ich weigere mich strikt, weder übers Telefon noch übers Wetter zu reden, zu schreiben oder auch nur nachzudenken.

Eines unbenannten Tages ca. 2 Wochen später, der Staub lag bereits wieder in den weiter entfernten Ritzen meines Arbeitszimmers, ich war noch nicht angezogen, es regnete ausnahmsweise nicht, klingelt es an der Wohnungstür. Es war der Herr der Telekom und ich wusste, dass ich nicht aus Deutschland weggegangen war, um dort der Telekom zu entkommen…

                            Immer wenn es regnet,

                            muss ich an sie denken

                            …

                            PT PT PT

                            Ohweh, ohweh, ohweh!